Interview mit Dr. Martin Gartner

Psychologie der Gesundheit

Klin. Psychologe und Gesundheitspsychologe, Psychotherapeut, Leiter der „Praxis für humanistische Psychotherapie“, Innsbruck

Dr. Martin Gartner

Dr.phil.Martin Gartner
*1949, Pädagogische Akademie, Klinischer und Gesundheitspsychologe, eingetragener Psychotherapeut, Klinische Verhaltenstherapie, Integratives Atmen, NLP, Berufs-u. Erziehungsberatung, Verhaltenstrainer, Kommunikations-, Selbsterfahrungsseminare.
Mitglied der österr. Berufsvereinigung ATMAN
Leiter der Regionalstelle West (Tirol/Vorarlberg) der Berufsvereinigung ATMAN
Info: Praxis für humanistische Psychotherapie Innsbruck

9 Fragen zu Humanistischer Psychotherapie

1. Worin liegt der Unterschied zwischen einem Psychiater und einem Psychotherapeuten?

Von der Ausbildung her liegt der wesentliche Unterschied darin, daß ein Psychiater ein Medizinstudium absolviert hat im Fachgebiet PSYCHIATRIE/NEUROLOGIE und als Arzt berechtigt ist Patienten auch medikamentös zu behandeln (Psychopharmaka, etc.)- somit ist er mit allen ärztlichen Befugnissen ausgestattet. Ein Psychiater wird meist von Patienten konsultiert mit einem klinischen Krankheitsbild, also dort, wo ärztlich oder medikamentös eingegriffen werden muss.

Meist verfügen heute viele Psychiater auch über eine psychotherapeutische Ausbildung, so daß sie auch psychotherapeutisch tätig sind. Um sich als Psychotherapeut zu bezeichnen braucht auch er gemäß den österreichischen Bestimmungen eine Ausbildung in einer anerkannten psychotherapeutischen Methode.

Psychotherapeut hingegen können bei uns in Österreich Vertreter mehrerer Berufsgruppen werden (Psychologen, Ärzte, Sozialarbeiter, Theologen Pädagogen), wenn sie sich einer intensiven Ausbildung in Psychotherapie unterziehen. Ausbildungsvoraussetzung zum Psychotherapeuten ist meines Wissens nicht unbedingt ein Hochschulstudium, es genügt ein bestimmtes Alter und die Matura und der Abschluss des vorangegangenen Propädeutikums um die mehrjährige Ausbildung zum Psychotherapeuten zu beginnen.

2. Ab wann ist man „reif“ für den Psychotherapeuten, nach welchem Kriterium geht man hin?

Ganz simpel gesagt: früher galt die Ansicht, daß man nur dann zum Psychiater/Psychotherapeuten/Psychologen geht, wenn man psychisch krank ist .

Zum Unterschied zur organischen Krankheit galt (gilt größtenteils immer noch) eine psychische Krankheit in weiten Teilen unserer Bevölkerung als viel bedrohlicher, unheimlicher und mit negativen Vorurteilen besetzter. Man bekannte sich beispielsweise viel leichter zu einer Ohrenkrankheit etc. als zu einer Depression oder seelischen Verstimmtheit. „Verrücktheit“ weckt tiefe Ängste in uns und alles, was damit zu tun hat, wollen wir eher vermeiden. So fällt es leichter zu sagen:“Ich muß zu einem Arzt“, als „Ich muß zu einem Psychiater:“ Jeder weiß, wie man sich fühlt, wenn einer zum anderen sagt: „Du gehörst zum Psychiater!“

Das ist auch der Grund, warum sich viele Menschen immer noch scheuen psychologische/psychiatrische Hilfe aufzusuchen aus Angst, nicht abgestempelt zu sein. Es klingt somit eher „harmloser“ wenn man nur zum Psychologen geht, obwohl dies auch lange noch als anrüchig galt. Gott sei Dank ändert sich heute diese Einstellungsform. In Amerika zum Beispiel galt es schon vor vielen Jahren als recht schick, „seinen“ Psychiater/Therapeuten/ Analytiker zu haben.

Aufgrund des gesellschaftlichen Wandels und der immer größer werdenden seelischen Not, die eine materialistisch ausgerichtete Leistungsgesellschaft im Menschen erweckt, finden nun auch bei uns immer mehr Menschen nichts Ungewöhnliches dabei, sich von einem psychotherapeutisch geschultem Helfer beistehen zu lassen.

Es ist schwierig allgemein gültige Richtlinien zu entwickeln, ab denen man „reif „ist für den Psychotherapeuten. Man ist dann „reif“, wenn man alleine nicht mehr glaubt weiterzukommen und Hilfe braucht. Im Allgemeinen gilt die Empfehlung:“Warte nicht zu lang, bis aus einer Kränkung eine Krankheit entstanden ist, sondern lass Dir rechtzeitig helfen Deine seelische Verletzung zu heilen“.

Viele Menschen jedoch gehen heutzutage nicht nur zu einem Therapeuten, weil ihnen etwas fehlt in der Weise, daß sie sich krank fühlen, sondern weil sie in Ihrem Weltbild Suchende sind, d.h.sie wollen Klärung in der Sinnhaftigkeit ihres Lebens, aus der sie die Motivation für all ihr Tun beziehen wollen.

Die Fragen „Wer bin ich eigentlich?“, „Was will ich?“, „Woher komme ich?“, “ Wohin gehe ich?“ stehen dabei im Vordergrund. Selbstverständlich hat die Klärung dieser Fragen Auswirkungen auf die gesamte Erlebnis- und Wahrnehmungsstruktur und somit auf das psychische Gesamtkonzept.
So gesehen richten sich Psychotherapeuten auch an gesunde Menschen, die einfach tiefer in ihr Menschsein eindringen, sich kennenlernen und wandeln wollen.

3. Welche Therapiemethoden wenden Sie an?

In meiner Arbeit verwende ich unter anderem auch Methoden aus dem Bereich der humanistisch orientierten Psychotherapie.

Die historische Entwicklung der Psychologie läßt sich im wesentlichen grundsätzlich nach Maslow in in vier Strömungen einteilen: Behaviorismus, Psychoanalyse, humanistische Psychologie und transpersonale Psychologie.
Vor allem die humanistische Psychologie betont Werte wie innere Freiheit, Selbstausdruck und Wachstum. Sie nimmt eine am Wachstum statt eine an Defizit und Krankheit orientierte Betrachtungsweise ein und will sowohl Menschen erreichen, die an sich arbeiten und wachsen wollen als auch Menschen, die vor großen Problemen stehen und nach Lösungen suchen. Sie richtet sich an die GANZHEIT der Person und strebt die Harmonisierung von Körper, Geist und Seele an.
Die verschiedenen therapeutischen Wege, die sich der humanistischen Psychologie verpflichtet fühlen, beziehen sich:
– auf die ganze Person und der Integration von Körper, Geist und Seele.
– auf ihr gegenwärtiges Erleben, Empfinden, Denken, Wahrnehmen und Fühlen.
– auf die Entfaltung besonderer menschlicher Eigenschaften wie Kreativität, Liebesfähigkeit, Selbstbehauptung, Eigenverantwortlichkeit.

Neben verschiedenen körperorientierten und gesprächsorientierten Methoden wie Bioenergetik oder nondirektives Gespräch, die sowohl in Gruppentherapie als auch in Einzelsitzungen zur Anwendung kommen und die alle die Grundsätze der humanistischen Psychologie erfüllen, liegt der Schwerpunkt meiner Methode in der ganzheitlichen Atemarbeit. Diese Methode wird auch häufig bewusstes, intuitives- oder integratives Atmen genannt. Sie ist früher unter dem Namen Rebirthing bekannt geworden.

4. Können Sie vielleicht etwas näher erläutern, was darunter gemeint ist?

Ich will es versuchen.

Es ist eine Technik des verbundenen Ein- und Ausatmens. Ein- und Ausatmen gehen ohne Unterbrechung ineinander über. Diese Technik wurde von dem Amerikaner Leonard Orr Anfang der Siebziger Jahre (wieder)-entdeckt. Vorläufer dieser Technik gibt es sowohl in Indien als auch bei den Indianern und den Derwischen.

Der frühere Name Rebirthing kam daher, weil man sich nach diesem Prozess wie neu geboren fühlt, aber mitunter auch Erfahrungen machen kann, die bis zur Geburt zurückreichen können.

Während die Atmung in praktisch allen Formen der körperzentrierten Psychotherapie eine wichtige Rolle spielt, wird sie nirgendwo so zentral eingesetzt, wie bei der bewussten Tiefen-Atmung.

Da der erste Atemzug den ersten selbstgesteuerten Überlebensvollzug des Menschen darstellt, gilt die Atmung als Grunderfahrung von Selbst und Welt. Demnach manifestiert sich Unbewältigtes und Traumatisches aus frühen Lebensjahren in verspannten Körper- bzw. Atemmustern, die wieder mit reaktiven Gefühlszyklen und stereotypen Denkprogrammen zusammenhängen.

Blockierte Energie läßt sich über diese Atemtechnik lösen und alte, gestaute Gefühle, deren Verdrängung große Teile unserer Lebensenergie beansprucht, kommen dabei an die Oberfläche. Diese „abgespalteten“ Teile unserer Lebensenergie oder Lebensfreude stehen uns dann neu zur Verfügung.

5. Wie läuft eine Therapie-Sitzung ab?

Einfach. In einer entspannten und angenehmen Atmosphäre, meist im Liegen, beginnt man mit der Anleitung zum vollen und runden Atmen. Beim Einatmen soll die Luft aktiv hoch in den sich weitenden Brustkorb gezogen werden und beim Ausatmen soll der Atem passiv losgelassen und der Bauchraum entspannt werden. Dies geschieht in einer weichen und runden Weise, mit unterschiedlichen Rhythmen, in der man sich vom Körper leiten läßt.

Eine Sitzung dauert ein bis zwei Stunden. Es wird meistens ein Zyklus von steigender Spannung bis zu einem Höhepunkt, der vor allem in den Anfangssitzungen mit dramatischen Gefühlserlebnissen und körperlichen Verkrampfungen einhergehen kann und darauf folgender oft sehr tiefer Entspannung, in der sich häufig subjektiv beeindruckende Erfahrungen wie Schweben, körperliches Wohlgefühl, Leichtigkeit und tiefe Glücksgefühle einstellen. Immer wieder wird auch von weit zurückliegenden Erinnerungsbildern berichtet.

Das Wiedererleben der Geburt gilt allerdings nicht als Ziel der Atemarbeit sondern als „Nebenprodukt“ der Auflösung von emotionalen Spannungsmustern. Genau zu beschreiben, was man bei solche einer Atemsitzung erlebt ist sehr schwierig. Es ist ähnlich, wie wenn man jemandem, der noch nie Käse gegessen hat, beschreiben will, wie Käse schmeckt. Die genaue Erfahrung zu beschreiben ist unmöglich, außer er hat selbst mal davon probiert.

Vor und nach der Sitzung besteht viel Raum für die verbale Aufarbeitung und Integration des Erlebten (malen, zeichnen, schreiben) und für die Arbeit in nondirektiver Gesprächsführung.

6. Für wen ist diese Methode geeignet?

Im Prinzip kann jeder(e) dieses Atemtraining machen. Es bietet uns die Möglichkeit die eigenen persönlichen Probleme, die ja niemand besser kennt als man selbst, von einer neuen Ebene her (also weg von der Problemebene) zu betrachten und sie mit einer neuen Kraft in völliger Eigenverantwortung zu lösen. Anwendungsbereiche sind Depression, Angst, Alkohol, geringe Selbstachtung, Gewalttätigkeit, Lebensunlust, Atemnot,……………………….

Aber es muss einem auch überhaupt nichts fehlen, um es zu machen. Man kann einfach neue positive Erfahrungen über sich selbst dazu gewinnen.

7. Was kostet so eine Sitzung?

Eine Sitzung, die ca 1 1/2 – 2 Stunden dauert, kostet bei mir zur Zeit bei 90.- € – Wenn die Sitzung länger dauert verrechne ich einen Aufpreis von 30.- €

Das ist verhältnismäßig günstig. Der allgemeine Satz für Psychotherapeuten liegt zwischen 80.- und 130.- € (aber nur für 50 Minuten!) Bei ärztlicher Überweisung zahlen die Kassen einen Teil des Honorars zurück.

8. Was haben Sie für eine Ausbildung?

Ich habe die pädagogische Akademie besucht und nebenher Psychologie und Erziehungswissenschaft studiert. Nach meinem Studium habe ich einige Zeit als Eignungspsychologe im damaligen Tiroler-Landesarbeitsamt gearbeitet und hatte nur im diagnostischen Bereich (Testauswertung etc.) zu tun. Neben dieser Tätigkeit schloß ich dann eine Ausbildung in klinischer Verhaltenstherapie ab. Da mir dies alles zu wenig war, begann ich mich dann für die intensiven und therapeutisch sehr effizienten Methoden der humanistischen Psychotherapie zu interessieren und ließ mich in Bioenergetik, Integrativer Atemtherapie, Körperarbeit (Massagetechniken wie Shiatsu, Polarity, etc.) Dehypno- und Imaginationstherapie ausbilden, wobei der größte Teil in Selbsterfahrung und Eigentherapie bestand.

Die wichtigste Ausbildung für einen Psychotherapeuten ist nicht so sehr das Studium etc. sondern das eigene Leben und die Selbsterfahrung. Die Eigentherapie und die eigene Erfahrung ist letztlich das, was wir mit anderen teilen bzw. weitergeben können.

Seit mehr als 35 Jahren bin ich nun selbstständig, leite eine eigene Praxis und gebe Einzelsitzungen, Seminare und Selbsterfahrungsgruppen und dies macht mir alles eine große Freude.

9. Das ist eine gute Überleitung zu meiner nächsten Frage: Wie stehen Sie zu Ihrem Beruf? Was bedeutet Ihnen Ihre Arbeit?

Sehr viel!
Zunächst mal empfinde ich meinen Beruf als genau das, was dieser Begriff eigentlich bezeichnet: als Be-rufung. Ganz zum Unterschied zu meiner früheren Tätigkeit als „Tester“ im damaligen Landesarbeitsamt Tirol. Das war für mich eher ein „Be-zwang“.

So gesehen ist es für mich auch keine „Arbeit“ in dem Sinne: da die Arbeit dort die Freizeit, es geht ineinander über und ist irgendwie mein Leben, meine Aufgabe. Und so gesehen habe ich großes Glück, es macht mir Freude, mein Leben aber auch die Sorgen mit anderen teilen zu dürfen.

Ich selbst sehe und empfinde mich auch nicht als „Therapeut“, der genau weiß, was der andere tun soll, der Rezepte hat oder weiß, was ihm oder ihr fehlt. Ich habe in meinem Beruf erlebt, daß niemand besser weiß, was ihm fehlt als der Klient selbst. Kein Arzt, Psychiater, Therapeut, Priester usw.!
Die Antworten zu all den Fragen und Problemen, die der Ratsuchende mit sich trägt, kennt niemand besser als er selbst. Nur ist ihm der Weg dorthin mitunter verlegt oder verschüttet.

Und so sehe ich mich mehr als BEGLEITER, der nichts anderes „tut“, als den Klienten ein paar Schritte auf SEINEM Weg zu sich selbst begleiten zu dürfen und ihm dabei helfen darf, eventuelle Hindernisse und Blockaden, die zwischen ihm und seinen „Antworten“ liegen, beiseite zu räumen.

Das ist eine wunderschöne Aufgabe für die ich immer wieder sehr viel Dankbarkeit und Freude empfinde. Einen Beruf zu haben, der so viel Freude macht, ist wirklich ein Geschenk!